„Roll-Out gestoppt“, „OVG stoppt Einbaupflicht“, „Gericht kippt Smart-Meter-Rollout“. So oder so ähnlich klingt es in diversen Meldungen seit dem 4. März 2021. Der Tag an dem ein Eilbeschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster mit anschließender Pressemitteilung am Folgetag die (Energie-) Welt in Aufruhr versetzt hat. Seit diesem Ereignis stellen sich viele betroffene Unternehmen die selben Fragen: Muss ich weiter intelligente Messsysteme verbauen? Was passiert mit den bereits verbauten Geräten? Was darf ich abrechnen bzw. gilt die POG nach wie vor? Gilt das überhaupt für mich? Soll ich mein Projekt stoppen? Wann gibt es verlässliche Rahmenbedingungen? Was wird aus der Mako 2020 und der Mako 2022 sowie den anderen aktuellen Themen mit iMS-Bezug?
Die Liste könnte weiter fortgeführt werden und zeigt sogleich, wie komplex der Sachverhalt ist und wie weit die Auswirkungen einer solchen Entscheidung gehen könnten. Unsere Einschätzung zu den Inhalten der Entscheidung nach heutigem Informationsstand lautet wie folgt:
Worum geht es? Der Faktencheck!
Wurde der Roll-Out gestoppt?
Eindeutige Antwort: nein. Das OVG Münster hat im konkreten Einzelfall in einem „einstweiligen Rechtsschutzverfahren“ die Allgemeinverfügung (sprich die Markterklärung des BSI aus Februar 2020) ausgesetzt. Das heißt, dass zumindest für dieses klagende Unternehmen der Zustand von vor der Markterklärung wieder hergestellt ist. Allerdings vorbehaltlich des finalen Urteils vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) – der nächsten Instanz in Deutschland. Es darf also durchaus weiterhin verbaut werden, was bereits geplant war. Allerdings darf nun vom Kläger auch wieder alternative Technik eingesetzt werden. Zumindest solange es keine finale Entscheidung vor dem BVerwG gibt. In allen anderen Bundesländern und bei anderen Unternehmen aus NRW bleibt alles wie es ist.
Muss ich weiter intelligente Messsysteme verbauen und was passiert mit den bereits verbauten?
Auch hier gilt es wieder zwischen klagendem Einzelfall und dem Rest des Landes zu unterscheiden. Im Einzelfall wird aus einem MUSS nun ein KANN. Im Rest des Landes bleibt es bei einem MUSS. Unternehmerisch sinnvoll wäre es aus unserer Sicht, sich im Zweifel für ein (vermeintlich) zertifiziertes Modell zu entscheiden, um auch von zukünftigen Softwareupdates und potentiellen Entwicklungen der Rahmenbedingungen zu profitieren. Die bereits verbauten Geräte brauchen laut Presseinfo des OVG Münster nicht ausgebaut werden.
Was darf ich abrechnen bzw. gilt die POG nach wie vor?
Auch in diesem Komplex gilt es wieder zwischen Einzelfall und dem restlichen Land zu unterscheiden. Im letzteren bleibt alles wie es ist. Im Einzelfall dürfte die Abrechnung einer POG nicht mehr zulässig sein, zumindest nicht für iMS. Um nach POG abrechnen zu dürfen verlangt das MsbG im Sinne des Gesetzes zertifizierte und markterklärte Geräte. Im Einzelfall des klagenden Unternehmens ist dieser Zustand nunmehr aufgehoben. Bereits verbaute iMS sind damit aus Sicht der Abrechnung und Marktkommunikation moderne Messeinrichtungen mit Modem/Kommunikationsmodul. Das kann aus finanzieller Sicht sogar zu einer Situation führen, in der gegenüber dem Anschlussnutzer mehr abgerechnet werden darf als im Rahmen der Preisobergrenze.
Soll ich mein Projekt stoppen?
Die meisten bei der BNetzA angemeldeten (g)MSB sind aktuell in einer der möglichen Phasen einer Roll-Out Vorbereitung bzw. haben mit diesem bereits begonnen. Was sollten diese Akteure unter den aktuellen Bedingungen tun? Dies hängt ganz maßgeblich von der aktuellen Situation im Individualfall ab. Wenn die Erreichung der 10%-Quote mit genügend Puffer geplant wurde und bereits stabile Umsetzungsbedingungen geschaffen wurden (Etablierung Beschaffungs- und Montageprozess, stabile IT-Architektur inkl. GWA-S, MDM-S und notwendiger Schnittstellen, erfolgreiche Prozesstests auf Test-PKI oder vergleichbarer SM-PKI) wäre es ratsam, den geplanten Puffer für diese Phase zu nutzen und die Entwicklung der nächsten Wochen zu beobachten. Sollten die notwendigen Eingangsbedingungen nicht gegeben sein, gibt es aus unserer Sicht keinen Grund etwas zu verändern. Im Gegenteil: Die Zeit sollte intensiv genutzt werden im eigenen Haus die Voraussetzungen zu schaffen, den Verpflichtungen aus dem Roll-Out nachkommen zu können. Mit der nun geforderten Erweiterung auf Anwendungsfälle für EEG, KWK und §14a ist das zu bohrende Brett eher dicker geworden. Dadurch könnte das Geforderte zu einem Bumerang für all jene werden, die statt einer stufenweisen Einführung gleich die berühmt gewordene Bazooka fordern. Ziel muss es sein, in jedem Fall die 10%-Quote zu erfüllen. Andernfalls kann die Grundzuständigkeit nach Ablauf der 3-Jahres-Frist entzogen werden. Das sollte aus Sicht der gMSB’s dringend vermieden werden.
Wann gibt es verlässliche Rahmenbedingungen?
Kurze Antwort: Vermutlich nie. Allein schon deshalb, weil es sich bei diesem Thema um etwas handelt, dass sich immer weiter entwickeln wird und muss. Mit Blick auf die beiden wesentlichen Kritikpunkte aus der Pressemitteilung des OVG Münster
- Anlage 7 der TR 03109-1 bleibt hinter dem MsbG (insbesondere §21 Abs. 1b und c),
- Der Ausschuss für Standardisierung wurde nicht ausreichend eingebunden (§24 Abs. 1 MsbG),
dürfte sich vergleichsweise einfach Abhilfe schaffen lassen. Für den 2. Punkt braucht es eine Sitzung des besagten Ausschusses. Sollte dieser dann keine Einwände haben, wäre die formale Hürde erfüllt. Für den ersten Punkt lohnt sich ein Blick auf Seite 15 der Anlage 7. Dort wird das „Geräteprofil SMGW_G1_NETZ“ als aktuell informatives Profil mit Abhängigkeit zum „Geräteprofil SMGW_G1_BASIS“ beschrieben. Und genau hier bleibt die Anlage 7 hinter dem MsbG. Mit Hilfe dieses Profils können Daten von Erzeugungsanlagen wie gesetzlich gefordert erhoben und verwendet werden. Aktuell kann nur PPC ein in diesem Punkt zertifiziertes SMGW vorweisen. Sollten zwei weitere Hersteller nachziehen, könnte diese Anforderung von „informativ“ auf „muss“ in Kombination mit einer Markterklärung inkl. Einspeiseanlagen geändert werden. Da es sich hier um einen bereits laufenden Prozess mit weiteren Herstellern handelt, sollte auch diese Hürde nicht zu hoch sein.
Mit Blick nach vorn ist nach unserer Einschätzung und vollkommen unabhängig vom Ausgang des Verfahrens eine Korrektur der Ursachen für die Einwände absehbar. Dadurch könnte es zu einer Situation kommen, in der eine finale Entscheidung zur Sache erst nach der Korrektur der Ursache erfolgt und damit vollkommen ins Leere läuft. Aber auch wir haben keine Glaskugel und man wird abwarten müssen, wohin die Reise geht.
Das denken wir
Wer hätte 2007 nach den Meseberg-Beschlüssen erwartet, dass wir 14 Jahre später noch immer dort stehen wo wir gerade sind. EDL 21 und 40, MUC oder das „Verordnungspaket intelligente Netze“ und nicht zuletzt die diversen EnWG-Novellen mit dem Finale 2016 – dem Messstellenbetriebsgesetz. All diese Ereignisse zeigen, wie schwer wir uns in Deutschland mit diesem Themen tun. Selbst in der Schweiz – wo sehr spät mit dem Thema begonnen wurde – hat man uns überholt. Mit der Markterklärung des BSI im vergangenen Jahr startete der Roll-Out für eine kleine Verbrauchergruppe dann dennoch auch bei uns. Nicht jeder begrüßte diesen Schritt, was unmittelbar zu einer Vielzahl von Klagen führte (allein ca. 50 vor dem 21. Senat in Münster). Gründe hierfür gab es viele. Zu hohe Kosten, keine erkennbaren Mehrwerte oder keine ausgereifte Technologie.
Vergleichbare Kritiken gab es im Jahr der Meseberg-Beschlüsse auch an einer anderen Technologie – dem iPhone 1. Allerdings hat niemand zu Apple gesagt: „Nehmt das nochmal vom Markt und kommt wieder, wenn das billiger ist, mit üppigen APP’s ausgestattet wurde und eine längere Laufzeit vorhanden ist.“
Auch wenn der Vergleich natürlich nur in Teilen sinnvoll ist, so geht es dennoch in beiden Fällen um eine neue Technologie, die sich im Laufe der Zeit entwickeln muss und sollte. Im Falle der iMS geht es um einen zentralen Baustein der Energiewende. Der Versuch diesen über einen wettbewerblichen Ansatz in den Markt zu bringen ist zwischen 2007 und 2016 gescheitert. Ergo erscheint es absolut sinnvoll hier regulatorisch einzugreifen.
Es ist bedauerlich, dass dieses zarte Pflänzchen und der Versuch des BSI’s eine sanfte Einführung durchzusetzen so vehement bekämpft wird. Die große Keule der Funktionalität wird das Thema nicht einfacher umsetzbar machen. Ja auch wir sehen in unseren diversen Roll-Out Projekten der letzten 6 Jahre mit mehr als 10.000 Messsystemen aller Art auf Test und Produktion, dass nicht alles rund läuft. Aber es wird eben auch kontinuierlich besser. Und diese Verbesserung entsteht nur durch Erfahrung, die auch nur möglich ist, wenn etwas getan wird. Für einfache Einbaufälle (Anschlussnutzer mit Bezug bis 100.000 kWh/a) haben wir heute sehr stabile und technisch interoperable Bedingungen. Für alle anderen Nutzergruppen geht es ebenfalls vorwärts (CLS, Einspeisung etc.). Wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der Dinge erst dann gut genug sind, wenn es die 100%-Lösung ist. Zumal der Standardkunde kein iMS mit TAF 9 oder 10 benötigt bzw. benötigen wird. Hier wäre es eher wünschenswert, wenn es im Rahmen der POG einen differenzierteren und auskömmlicheren Rahmen geben würde.
Insgesamt bleibt für uns festzuhalten, dass die Signale der Entscheidung potentiell einen viel größeren Schaden angerichtet haben als die eigentlichen Inhalte. Zumindest wenn man es positiv mit dem Roll-Out von iMS hält. Für die Gegner dürfte es eher Wasser auf die „ich habs euch doch gleich gesagt“-Mühlen sein. Wir sind gespannt wie sich die nächsten Wochen entwickeln und halten Sie an gewohnter Stelle auf dem Laufenden.
Ihr Ansprechpartner: